30. Nov 2017 | Gründung
Am 23. abends ein Anruf: „Sie, der Baum stinkt!“ Absurd? Nein, ein Klassiker. Selbstständig als Weihnachtsbaumverkäufer, das bedeutet, du begibst dich ins Auge des Ansturms auf Weihnachten. Der Weihnachtsbaum ist das zentrale Objekt des Festes. Für viele geht es nicht ohne. Andere könnten gut darauf verzichten, ihr Wohnzimmer umzuräumen, die Kisten mit Deko erst vom Dachboden und dann wieder hinauf zu schaffen und ein oder zwei Wochen später alles nochmal in umgekehrter Reihenfolge.
Selbstständig als Weihnachtsbaumverkäufer: Da schaust du ins Innerste von Familien. Therapeutische Zusatzausbildung – manchmal wünschenswert. Leider vergütet Dir das niemand.
Zunächst kann man die Weihnachtsbaumverkäufer in zwei große Gruppen einteilen:
Im ersten Fall bist du ein Händler, musst Kontakte knüpfen, einen Standort für dein Saisongeschäft finden und einen Verkäufer finden, der dir Material anliefern kann. Du selbst verkaufst nur.
Im zweiten Fall beginnt das Geschäft mit dem Acker und den Jungpflanzen, setzt sich über die Pflege der Plantage fort und dann hast du nach einigen Jahren mit den ersten Kunden zu tun. Für den Ab-Hof-Verkauf eignen sich Betriebe, die sowieso bereits einen Hofladen haben, über andere Aktionen zu Weihnachten bekannt sind oder günstig liegen, sodass die Kunden keine lange Anreise haben. Dann nehmen sie den Weg auf sich, dass eigene Bäumchen frisch vom Acker zu holen.
Nicht nur, wenn du selbst anbaust, musst du dich mit der Ware auskennen. Kunden stellen Fragen. Sie wollen ihren forestalen Mitbewohner auf Zeit genau kennen lernen. Wie alt er ist, ob er es immer gut hatte, wo er herkommt, was das für eine Sorte ist, etc. Dabei wollen die meisten doch nur noch Nordmanntanne. Die deutlich preisgünstigere Fichte hat nahezu ausgedient, denn Nordmänner pieksen nicht, nadeln verhalten und haben ein sattes Dunkelgrün. Doch wer Nordmann-Tannen anpflanzt, muss sich intensiv um seine Weihnachtsbaumkultur kümmern. Für gute Böden eignen sie sich kaum, dann schießen sie zu schnell in die Höhe. Dazu kommen sie aber nur, wenn die kleinen Nordmänner nicht aufgrund ihres Mangels an Pieksigkeit schon früh von Rehen beknabbert, sowieso schief und krumm wachsen. Damit erklärt sich der Preis.
Und nicht nur den Preis und die Anbaubedingungen erklärst du im Laufe einer ca. 5-6 wöchigen Verkaufssaison immer und immer wieder. Für Ab-Hof-Verkäufer gilt das übrigens zu jeder Tageszeit. Menschen, die von „Wieso, Sie sind doch zu Hause!“ und „Der Supermarkt hat jetzt auch noch auf“ ausgehen, sind keine Exoten. Also: Schreibe deine Öffnungszeiten lieber noch größer ans Hoftor, als du eigentlich wolltest.
Dann brauchst du neben Funktionskleidung und wirklich warmer Jacke und Thermo-Arbeitshandschuhen unbedingt noch ein dickes Fell. Eins, dass all die Beziehungskrisen, die du erleben wirst, in weißes Rauschen verwandelt. Dich erwarten Männer, die keinen Weihnachtsbaum wollen, aber einen kaufen müssen. Sie sagen das nicht ihren Partnerinnen: Sie erzählen es dir! Es gibt Frauen, die einen Baum wollen und sich aufregen, dass dieses Aufgabe nicht ihr Mann übernommen hat. Das sagen sie nicht ihm, sie sagen es dir.
Paare kommen gemeinsam, obwohl nur einer von beiden einen Baum will: Sie nutzen den Anlass, sich gehörig anzuzicken, denn durch dich haben sie Publikum.
Konstellationen aus Schwiegerkindern und Schwiegerelternteilen, die gemeinsam zum Baumkauf ausrücken, sind oft auch nicht besser. Sie sind schon vor dem Fest gestresst davon, tagelang zusammengepfercht feiern zu müssen. Das sagen sie sich nicht gegenseitig und auch nicht dir: Sie suchen einfach einen Baum aus, der so groß ist, dass beim Abtransport nicht mehr alle Familienmitglieder mit ins Auto passen. Du bleibst auf den überzähligen Passagieren sitzen, bis sie jemand abholt. Das kann dauern. Die verstreichende Zeit ist nicht proportional zur zurückgelegten Entfernung sondern korreliert damit, wie viel Auszeit der Fahrer oder die Fahrerin des Autos gerade braucht.
Lauter Klassiker. Vielleicht für manchen die Motivation, vom Direkt- zum Online-Verkauf von Weihnachtsbäumen überzugehen?
Und warum stinkt nun der Baum? Oft tut er es gar nicht selbst. Natürlich riecht Tanne harzig oder eben nach Wald, wenn sie wohnungswarm wird. Was geruchlich noch dazu kommt, kann das Verpackungsmaterial sein, also das Netz oder die Bänder mit denen die Zweige im Zaum gehalten wurden. Oder Hund und Katze haben das fremde Ding in der Wohnung oder bereits auf dem Balkon markiert.
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